Beim Gespräch in der Redaktion des General-Anzeigers in Bonn: (von links) 
Dirk Schlömer, Ralph Bombis, Stefan Fricke, Serap Güler und Rolf 
Beu. Foto: Barbara Frommann

Beim Gespräch in der Redaktion des General-Anzeigers in Bonn: (von links) Dirk Schlömer, Ralph Bombis, Stefan Fricke, Serap Güler und Rolf Beu. Foto: Barbara Frommann

5 aus 237: „Ich dachte, ich sei als Abgeordnete freier“

Erschienen am 21.09.2012

General Anzeiger Bonn

Im NRW-Landtag sind sie Neulinge: Dirk Schlömer (SPD), Ralph Bombis (FDP), Stefan Fricke (Piraten), Serap Güler (CDU) und Rolf Beu (Grüne). Im Rahmen der Serie „5 aus 237“ begleitet der GA die fünf Abgeordneten über einen längeren Zeitraum.

Beim Gespräch in der Redaktion des General-Anzeigers in Bonn: (von links)  Dirk Schlömer, Ralph Bombis, Stefan Fricke, Serap Güler und Rolf  Beu. Foto: Barbara Frommann

Beim Gespräch in der Redaktion des General-Anzeigers in Bonn: (von links) Dirk Schlömer, Ralph Bombis, Stefan Fricke, Serap Güler und Rolf Beu. Foto: Barbara Frommann

Sie sind vier Monate im Landtag. Was hat Sie überrascht?

Güler: Dass jeder Abgeordnete laut Ältestenrat die Genehmigung seiner Fraktionsspitze einholen muss, wenn er eine Kleine Anfrage stellt. Ich dachte, ich sei als Abgeordnete freier.

Es soll wahrscheinlich nicht jeder machen, was er will.

Güler: Darum geht es nicht. Aber als freie Abgeordnete sollte ich schon in der Lage sein, eine Kleine Anfrage zu stellen, ohne kontrolliert zu werden.

Schlömer: Mich haben die vielen Zwischenrufe irritiert. Es täte uns gut, den Rednern zuzuhören.

Zwischenrufe sind doch das Salz in der parlamentarischen Suppe.

Schlömer: Ich finde es aber unangebracht, den anderen mit flapsigen Zwischenrufen aus dem Konzept zu bringen.

Bombis: Über den Stil kann man streiten, aber gerade die lebhafteren Debatten im Landtag habe ich im Gegensatz zu denen im Kreistag als erfrischend anders empfunden.

Herr Beu, haben Sie sich bei Ihrer ersten Rede gestört gefühlt?

Beu: Nein, im Gegenteil. Überrascht hat mich eher die Professionalität der Fraktion. Mit den Abgeordneten, den persönlichen und wissenschaftlichen Mitarbeitern hat sie schon die Größe eines mittelständischen Unternehmens.

Rolf Beu Foto: Barbara Frommann

Rolf Beu
Foto: Barbara Frommann

Fricke: Wir Piraten haben uns gewundert, dass die EDV-Abteilung der Landtagsverwaltung die Abgeordneten ganz schön an die Kandare nehmen kann. Man ist gezwungen, eine ganz bestimmte Software zu benutzen. Es ist auch nicht möglich, mit Voice-over-IP-Lösungen aus dem Landtag heraus zu arbeiten. Das heißt: Telefonieren über das Internet geht nicht. Begründet wird das mit Systemsicherheit, aber das ist für mich nicht nachvollziehbar.

Was bedeutet es für Sie, Abgeordneter zu sein? Stolz, Verpflichtung, Verantwortung, Job?

Bombis: Von jedem etwas. Und bis jetzt ist auch noch Spaß dabei.

Güler: Mir ist bewusst geworden, wie viel Verantwortung ich habe. Schon durch die vielen Gratulationen zur Wahl etwa von Verbänden und Unternehmen.

Die wollen alle etwas von Ihnen.

Güler: Das waren zunächst reine Glückwunschschreiben. Ich weiß nicht, ob die jetzt alle was von mir wollen. Aber man wundert sich schon, mit wem man alles zu tun bekommt.

Beu: Erstaunlich ist die Flut an Post, insbesondere an Mails, die mich täglich erreicht.

Was wollen die Menschen?

Beu: Da gibt es etwa die Sozialleistungsempfänger, die ganze Dokumentensammlungen verschicken, um ihren Ärger mit den Ämtern zu verdeutlichen. Da gibt es Verbände und Vereinsvorsitzende, die zu Tagungen einladen. Und immer wieder lautet die Frage: Was ist wichtig? Was kann, was muss ich wahrnehmen? Und nicht nur die Höflichkeit gebietet es, dass alle Anliegen von mir ernst genommen werden.

Haben Sie sich denn bereits eingearbeitet?

Schlömer: Es ist schon schwierig, denn das Spektrum an Themen ist sehr groß. Ich habe mich zum Beispiel noch nie mit Glücksspielen beschäftigt und muss jetzt über den Glücksspielstaatsvertrag mitentscheiden.

Beu: Es kann niemand Fachmann für alles sein. Aber es gibt Experten aus allen Fachbereichen in der Fraktion.

Wie intensiv wird in den Fraktionssitzungen diskutiert?

Güler: Im Schnitt eineinhalb bis zwei Stunden. Viele Themen werden in fünf Minuten abgehandelt, bei anderen gibt es Pro und Contra. Es wird sehr offen diskutiert. Als jüngste Abgeordnete hatte ich auch nie das Gefühl, dass ich meine Meinung nicht äußern dürfte.

Schlömer: Schön fand ich, dass mir erfahrene Kollegen immer mal wieder die Historie von manchen Themen erklärt haben. Und dass der Austausch mit der Ministerpräsidentin, den Ausschussvorsitzenden oder anderen so unproblematisch ist.

Wie lange diskutieren die Piraten?

Fricke: Sechs bis sieben Stunden. Dann sind alle müde, aber wir noch nicht mit der Tagesordnung durch. Oft wird vertagt.

Müsste es zielorientierter sein?

Fricke: Es ist sehr oft so, dass man sich eine Stunde mit Kleinigkeiten abgibt. Das müsste eigentlich nicht sein.

Sie haben Wahlkreise hier im Rheinland. Wie wollen Sie Interesse für den Landtag wecken?

Bombis: Ich gehe auf Menschen zu, egal ob es mittelständische Unternehmer oder Bürger aus meinem Wahlkreis sind: Wenn es Anliegen oder Anfragen gibt, stehe ich zur Verfügung. Leider gibt es auch zeitliche Grenzen.

Wo ziehen Sie die Grenze? Wenn ein Kleingartenverein für Sonntagnachmittag zum Sommerfest einlädt, Sie den aber lieber mit der Familie verbringen wollen?

Bombis: So einfach ist die Grenze nicht zu ziehen. Wenn ich eine Einladung im Wahlkreis habe, nehme ich sie wahr. Durch das Mandat bin ich auch verpflichtet, zur Verfügung zu stehen. Da gibt man gelegentlich ein Stück weit Privatsphäre auf.

Güler: Gerade an den Wochenenden, die man investieren muss, um mit den Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt zu treten.

Beu: Wir Grüne haben eher eine fachliche Aufgabenaufteilung, so dass ich als rheinischer Verkehrspolitiker auch nach Ostwestfalen fahre. Bei regionalen Themen versuche ich eine Verknüpfung mit den zuständigen Verwaltungen, den Bundestagsabgeordneten und Ratspolitikern zu organisieren.

Herr Schlömer, Sie sind als einziger der Runde direkt gewählt. Wo liegen Ihre Schwerpunkte?

Schlömer: Ich möchte mit einem mobilen Wahlkreisbüro zu festen Sprechzeiten in die Kommunen fahren. Damit die Bürger mit mir diskutieren und mit ihren Anliegen zu mir kommen können. Das mache ich gern und darauf werde ich einen Großteil meiner Zeit verwenden. Nur so kann man als Politiker den Bürgern auch beweisen: So schlecht, wie Ihr manchmal glaubt, sind wir gar nicht.

Frau Güler, Sie kannten bis zum Wahlkampf Ihren Wahlkreis nicht. Eine besondere Situation?

Güler: Das war nicht einfach, aber ich habe viel Unterstützung von der örtlichen CDU und vielen Bürgerinnen und Bürgern erfahren. Ich bin sehr viel im Wahlkreis unterwegs und trete mit Bürgern und Verbänden in Kontakt. Ich werde nicht alle Probleme lösen können, kann aber mit meinen Möglichkeiten sicher anders vermitteln.

Islamische Religion, die Schulpolitik im Allgemeinen und die Inklusion im Besonderen – das sind drei Themen. über die die fünf Parlamentarier besonders lebhaft debattierten:

Ist es gut, dass der islamische Religionsunterricht eingeführt worden ist?

Fricke: Die Mehrheit in meiner Partei lehnt das ab, weil sie Religionsunterricht generell ablehnt, stattdessen einen Ethikunterricht will. Ich bin allerdings der Meinung, dass man Religion als Wahlfach anbieten sollte, dann natürlich auch islamische Religion. Sonst schicken die Eltern ihre Kinder in Koranschulen.

Bombis: Inhaltlich ist es der richtige Weg, den Versuch islamischer Religionsunterricht zu starten. Güler: Kritisch ist vielleicht zu sehen, dass es den Lehrplan erst 2013 geben soll. Das Schulministerium müsste zudem die bisherigen Islamkundelehrer über Wochenendseminare hinaus fortbilden. Wir brauchen eine Weiterbildung mit Hand und Fuß.

Schlömer: Auch was die Integration angeht, ist der islamische Religionsunterricht ein Schritt in die richtige Richtung.

Güler: Das eine hat für mich mit dem anderen nichts zu tun. Jeder Schüler sollte ein Anrecht haben, in seiner Religion unterrichtet zu werden. Wenn wir Integration mit allem Möglichen verbinden, ideologisieren wir das Thema zu sehr.

Wo steht die Schulpolitik ein Jahr nach dem Schulkonsens?

Beu: Wichtig ist, dass der Schulkonsens nach den ideologisch verbohrten Schuldebatten der Vergangenheit mit Leben gefüllt wird.

Bombis: Aber es darf nicht sein, dass das Gymnasium als beliebteste Schulform zugunsten der Gesamtschulen ausgedünnt wird.

Beu: Das wird auch nicht passieren. Entscheidend ist der jeweilige Elternwille, die Situation vor Ort.

Schlömer: Wir sind gerade im ländlichen Raum jetzt in der Lage, durch Gesamt- und Sekundarschulen ein breites Spektrum an Bildung vermitteln zu können. Wir müssten aber eigentlich viel mehr Geld in die Hand nehmen als wir haben, um eine gleichbleibende Qualität in allen Schulen anbieten zu können. Ich war im Wahlkampf in einem Gymnasium. Die machen möglicherweise einen sehr guten Unterricht, aber die Räumlichkeiten sind die blanke Katastrophe. Da wäre Inklusion derzeit nicht möglich.

Wie soll Inklusion denn gehen?

Schlömer: Man muss zuerst ein vernünftiges Konzept haben, eine entsprechende Finanzierung, das umsetzen, dann kann man auf die Akzeptanz der Menschen hoffen.

Bombis: Ein solches Inklusionskonzept fordern wir ja ein. Ich halte nichts davon, starre Zielvorgaben zu machen, wie viele behinderte Kinder bis wann in Regelschulen integriert werden. Das wird den Kindern nicht gerecht.

Beu: Zielvorgaben sind aber unverzichtbar. Wenn wir die nicht hätten, ginge es zu langsam voran.

Güler: Wir müssen die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen. Aber wir müssen es besser machen als andere Bundesländer. Ein Beispiel: Es darf uns nicht passieren, was gerade in Hamburg geschieht. Da findet eine Mutter keine Regelschule mit einem Sonderpädagogen, der auf Sprachförderung spezialisiert ist. In diesem Fall ist das Kind wahrscheinlich besser auf einer Förderschule aufgehoben.

Fricke: Die Förderschule hat aber auch ihre Probleme: veraltetes Material, schlechte Bausubstanz, individuelle Förderung nicht immer so, wie man sich das wünscht. Man darf das Idealbild der Förderschule nicht mit der Realität der Regelschule vergleichen. Man muss die Realität auf beiden Seiten zur Grundlage nehmen.

Herr Fricke, ist NRW ein behindertenfreundliches Land?

Fricke: Bei schulischer Inklusion liegt das Land im Bundesländervergleich ziemlich weit hinten.

Sie waren selbst in einer Schule für Körperbehinderte. Wie kann Inklusion gelingen?

Fricke: Wichtig ist die Wohnortnähe. Weil ich einen weiten Schulweg hatte, war es für mich sehr schwierig, Kontakte mit Nachbarskindern zu knüpfen.

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